This post is also available in: English (Englisch)
Ein Beitrag von Dorji Bidha (DrukgyelFarmers)
Alljährlich, laut Mondkalender vom 29. Tag des 10. Monats bis zum ersten Tag des 11. Monats, feiern wir Lomba, das Neujahrsfest in Paro und Haa. Zum Lomba kommt die gesamte Familie zusammen, um gemeinsam zu feiern, denn das gilt as glücksverheißend! Diesen Lomba bin ich also bei meinen Großeltern und lausche fasziniert ihren Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit, vor fast einem Jahrhundert! Meine Großeltern sind eine Quelle an Wissen und Weisheit.
Lomba: Kulinarische Köstlichkeiten und das „Böse“ vertreiben
Zu Lomba genießen wir Parop (Menschen in Paro) jomja, kleine süße Küchlein aus braunem Reis, oder vorzugsweise weißem Reis, tan tseri, aus Punakha. Ähnlich lieben die Haap ihre lokale Spezialität namens hoentey, gefüllte Teigtaschen aus Buchweizenmehl. Sowohl hoentey als auch jomja werden mit Glück, Freude und Gesundheit in Verbindung gebracht; deshalb bereiten wir diese Speisen nicht zu, wenn jemand im Haushalt gestorben oder krank ist.
In der Abenddämmerung des 29. Tag des 10. Monats führen wir außerdem das lue-Ritual durch, um Unglück, Negativität und Kummer abzuwehren. Zuerst müssen wir ein lue, eine Teigfigur in Menschenform, herstellen. Das lue kann unterschiedlich groß sein, muss aber die dru nga ghu (die neun traditionellen Körner: Buchweizen, Gerste, Weizen, Reis, Hirse, Mais, Senf, Amaranth und Hülsenfrüchte), enthalten. Dann nehmen wir das Figürchen mit nach draußen und rezitieren Gebete für ein gutes Jahr; wir beten für anhaltende und lange Gesundheit, eine gute Ernte und weiterhin gute Beziehungen, thuenlam. Dann eliminieren wir Unglück, Negativität und Kummer aus unserem Leben, indem wir das lue wegwerfen. Wir glauben nämlich, dass all das Negative und Böse auf das lue übertragen wurde. Beim Lomba 2020 haben wir natürlich auch darum gebeten, dass der Coronavirus mit dem lue vertrieben wird!
Die Beziehung zwischen Haa and Paro
Diejenigen, die schon einmal den Sagala-Trek gemacht haben, werden verstehen, warum die Menschen in Paro und Haa so viel gemeinsam haben, einschließlich das Neujahrsfest Lomba. Der Sagala Pass trennt unsere Täler, aber wir können ihn innerhalb weniger Stunden überqueren und beide Täler erreichen. Unsere Lokalgottheiten liegen auf beiden Seiten des Bergrückens.
Der Sagala-Trek ist auch als „Haa-Reispflanzerroute“ bekannt, da früher die Haap und Parop gemeinsam die Reisfelder bearbeiteten (Sharecropping) und diese Route viel begangen wurde. Diese Tradition existierte schon lange bevor es dem japanischen Landwirtschaftsexperten Dasho Nishioka gelang, den Reisertrag durch verbessertes Saatgut um das Dreifache zu steigern. Nishioka wurde 1964 von der japanischen Regierung nach Bhutan gesandt, um bei der Modernisierung unserer Landwirtschaft zu helfen. Er lebte und arbeitete hier über 28 Jahre lang. Heutzutage haben wir Straßen, Busse und Autos, so dass die Praxis (und Kultur) des Sharecroppings inklusive Überquerung des Sagala-Passes auf ein Minimum geschrumpft ist.
Lomba – Geschichten aus vergangenen Zeiten
Zum diesjährigen Lomba sitze ich also neben meinen Großeltern und höre gespannt zu wie sie von früheren Zeiten erzählen. Großmutter Jum Tso lham ist jetzt achtundsiebzig Jahre alt und Großvater Jojo Jow, einundneunzig. Wie viele Bhutanerinnen und Bhutaner mittleren und höheren Alters, haben meine Großeltern unter vier Königen gelebt, von Seiner Majestät dem zweiten König, Jigme Wangchuck, bis zu unserem fünften König, Jigme Khesar Namgyal Wangchuck. Meine Großeltern sind daher Zeitzeugen der vielen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten.
Früher war das Leben hart…
Großmutter Jum Tso Lham erinnert sich an woola, eine harte Arbeitssteuer, der sie vor 60 Jahren, als junges Mädchen, ausgesetzt war. Damals war sie so arm, dass sie nicht einmal gute Kleidung (kira) besaß, um sich warm zu halten, geschweige denn eine zweite Garnitur zum Wechseln. Sie beschreibt, wie sie für ihre woola Pflichten, tagelang und nächtelang am Stück zu Fuß gehen musste und dabei immer die gleiche einfache kira trug. Sie erzählt, dass es so eisig kalt war, dass sie anfing, große Mengen an Areca-Nüssen, eingewickelt in Betelblätter (doma), zu kauen. Die Wirkung von doma, plötzliche Hitzewallungen, war die einzige Möglichkeit, sich warm zu halten. Erst um 1958 wurde die schwere Last der woola-Steuer vom dritten König abeschafft.
Großvater Jojo Jow erinnert uns daran, dass wir uns glücklich schätzen können, in Bhutan unter unseren visionären und mitfühlenden Königen geboren worden zu sein. Ihnen verdanken wir es, dass wir heutzutage nicht mehr die hohen Himalajapässe nach Tibet überqueren müssen, um Salz zu holen.
Ich bin jedoch nicht zufrieden; ich glaube, dass wir, das Volk, immer noch nicht genug für den Aufbau unserer Nation tun, wenn man die Empfehlungen und Anleitungen Seiner Majestät des Königs berücksichtigt. Um ein Beispiel zu nennen: Vor 30 Jahren, zur Zeit von Dasho Nishioka, ging es unserem Bauernhof besser. In der jüngsten Coronazeit, während des zweiten Lockdowns, konnten wir jedoch nicht einmal mehr unser eigenes Gemüse und Obst zur Selbstversorgung anbauen; wir wissen zwar, wie man Gemüse anbaut, aber im Winter wächst hier ohne Gewächshäuser nichts. Wenn die Regierung uns beim Kauf von Gewächshäusern unterstützen würde, könnten wir uns besser selbst versorgen. In Barshong zum Beispiel (auf einer Höhe von über 3000 m) bauen alle Gemüse an, da jeder Haushalt ein Gewächshaus von der Regierung erhalten hat.
Salzhandel mit Tibet: eine gefährliche Reise
Während ich in Gedanken versunken bin und überlege wie wir mehr zum Aufbau unserer Nation beitragen könnten, beschreibt mein Großvater Jojo, wie er als junger Bursche seinen Vater nach Phari in Tibet begleitete, um Salz zu holen. Unglücklicherweise begegneten sie auf dem Weg andos (Räubern). Mein Großvater wurde mit einem scharfen Messer an der Stirn verletzt, überlebte den Vorfall aber trotz des rauen Wetters. Ja, in jenen Tagen begegneten sie oft bewaffneten Dieben, die ihnen Hab und Gut stahlen, darunter Goldringe, Ohrringe und originale Katzenaugen (begehrte Schmucksteine). Auf solchen Handelsreisen nach Tibet, um Salz und lebenswichtige Dinge zu erwerben, stellten Räuber eine ständige Gefahr dar.
Hohe Steuern und traditionelle „Steuerhinterziehung“
Sofort nach seiner Rückkehr aus Tibet, musste Jojo schon wieder tief in den Wald, um shinglay (Holzschindeln) für sein Haus herzustellen. Nur wenige Tage danach, war er dann an der Reihe seinen woola Beitrag zu leisten und Waren zum Dzong, der Klosterfestung und dem Zentrum der Verwaltung, zu transportieren. Damals wurden die Bezirke von regionalen Gouverneuren regiert, die erhebliche Macht besaßen. Der dritte König schließlich, schaffte diese schweren Arbeits- und auch Naturalsteuern ab und nahm damit eine große Last von den Schultern der einfachen Bevölkerung, wie auch meiner Großeltern.
Großmutter Jum Tsho Lham erzählt noch, wie die boed (Vertreter der regionalen Gouverneure) jedes einzelne Reisfeld direkt nach der Ernte aufsuchten und beträchtliche Mengen der Ernte auswählten, um sie als Steuern einzukassieren. Sie wurde damals oft emotional, weil die Erträge der Familie, die Früchte der harten Arbeit des Jahres, beschlagnahmt wurden und sie sich Sorgen machte, was ihre Familie denn nun in den kalten Winternächten essen würde.
Um ihr Überleben und das ihrer Familie zu sichern, ließen sich die Bäuerinnen und Bauern daher listige Strategien einfallen, um die hohe Besteuerung zu umgehen. Das Getreide wurde in einem dafür vorgesehenen Behälter (drey) gemessen. Bevor aber der boed auftauchte, mischten die Bäuerinnen und Bauern zum Beispiel Spreu unter die eigentlichen Körner, da der Reis ungeschält gesammelt und gewogen wurde. Tatsächlich bedeutet ein Teil von Jum Jayso Lhams Namen – Jayso soviel wie „ein Kind, das gleich nach der Geburt in eine drey gesteckt wurde“, um das Baby von Krankheit und Angriffen böser Geister zu reinigen!
Eine andere Methode, die meine Urgroßmutter Jum Jayso Lham anwandte, bestand darin, einen kleinen Teil des Korns unter den Bodenläufern aus Tierhäuten zu verstecken.
Während meine Großmutter Jum Tso Lham und ihre Mutter Jum Jayso also im Dorf beschäftigt waren, musste Jum Tso Lhams Vater, Jojo Bokhu, in der Zwischenzeit Steuerwaren im Dienste des boed zu Fuß nach Lingzhi tragen. Deshalb erzählt Jumo noch heute mit großer Freude in den Augen, wie wichtig es für die Bäuerinnen und Bauern war, dass die woola-Steuer vom dritten König abgeschafft wurde. Stattdessen können sie nun ihre gesamten, hart erarbeiteten Ernteerträge behalten.
Gemeinsam in die Zukunft
Diese Geschichten berühren mich sehr, weil meine Großeltern viel durchgemacht haben, um dahin zu kommen, wo wir heute stehen. Es ist höchste Zeit, dass wir uns alle aufrappeln, um besser und härter zu arbeiten. Am 113. Nationalfeiertag hat Seine Majestät der König eine Ansprache an die Nation gehalten und die wichtigsten Punkte seiner Rede werden hoffentlich in den Köpfen der Staatsbediensteten und des restlichen Volkes etwas bewirkt haben. Nur durch einen tiefgreifenden Mentalitätswandel innerhalb des öffentlichen Dienstes und der Verwaltung, können wir Veränderungen und eine positive Entwicklung in unserem Land herbeiführen.
Bisher ist es für eine einfache Bäuerin wie mich belastend, neben der landwirtschaflitchen Arbeit so viele Amtswege und Papierkram zusätzlich erledigen zu müssen, wie zum Beispiel die Erneuerung von Umwelt- und Standortgenehmigungen. Für mich ist es tatsächlich einfacher (und macht mehr Spaß!), ein ganzes Feld umzugraben und eine gute Ernte einzufahren, als mich mit mehr Beamten als nötig auseinanderzusetzen.